position alltag
HDA Programm 2006/2007
Ausschreibungposition alltag
- wohnen, arbeiten, schützen, konsumieren, glauben, bauen
Mit "position alltag", dem Programm für die Jahre 2006/07, stellt das HDA die Frage nach gegenwärtigen Positionen in der Architektur und wirft Alltag als mögliche Antwort in die Diskussion. Nichts scheint so klar zu sein wie die Alltäglichkeit von Architektur: kaum ein Schritt, der nicht jeden und jede mit Gebautem konfrontiert. Und doch lesen wir in Hochglanzmagazinen eher von schillernden Privathäusern und Corporate Identity-Palästen, die nur wenigen Leuten Raum bieten, oder aber von "Bilbao-Effekt" heischenden Public-Private-Partnership-Projekten, die Interessierten mit dem nötigen Kleingeld für Anreise und Eintritt gerne Zugang gewähren.
In Gegenreaktion zur Vorherrschaft von exklusiven Repräsentationen designter Oberflächen entsteht gegenwärtig (wieder) eine Diskussion über die Rolle der Architektur in Bezug zu sozialen Themen, zum Beiläufigen, das uns im Alltag umgibt, oder auch zur Komplexität von Normalität. Um einige Beispiele zu nennen: Die TU Graz etwa benennt ihr derzeitiges Jahresthema "Architecture meets Life"; einige Semester zuvor hielt Hrvoje Njiric, bis Sommer 2005 Leiter des Instituts für Gebäudelehre, eine Vortragsreihe mit dem Titel "Alltag rein!" ab. Auch das letzte Programm der ÖGFA in Wien beschäftigte sich mit "Utopien des Alltäglichen" ausgehend von Projekten der 60er Jahre. An der niederländischen TU Delft wiederum widmet sich die Delft School of Design heuer urbanen Strategien in der “city of progress and product" mit Blick auf "urban life as it happens in the everyday".
In englischsprachigen Beiträgen zum gegenwärtigen Architekturdiskurs finden sich zur Zeit auffallend viele Bücher zum Thema "the Everyday and Architecture", wobei in den USA im speziellen über Neo-Pragmatismus debattiert wird; dessen ProtagonistInnen zielen darauf ab, die Architektur von Lasten und Lastern der Theorie und Kritik zu befreien; stattdessen soll eine - durchaus diskutierbare - "hands on"-Mentalität Produktivität erhöhen und somit der Architektur eine gewichtigere Rolle in der Gesellschaft verleihen. Findet diese Auseinandersetzung unter ArchitektInnen statt, so beschäftigt sich Gerrit Confurius mit der öffentlichen Diskussion und Rezeption von Architektur durch NichtarchitektInnen: In seinem Text "Was Architektur-Zeitschriften nicht zeigen. Ein Plädoyer für das Beiläufige" (nachzulesen u.a. auf www.gat.st ) beschreibt er Architektur als "Alltagsphänomen" und spricht weiters von der Relevanz des "Gewöhnlichen", vor allem im produktiven Spannungsfeld zwischen Gebrauchsaspekt und Ausdrucksaspekt. Mit einem entsprechenden Anspruch an Öffentlichkeit fordert schließlich Roemer van Toorn eine Ausverhandlung zwischen den zwei konstituierenden Politiken einer architektonischen Ästhetik: Politik der Lebenswelt und Politik der Autonomie. Beide stehen durchaus in Konflikt, woraus sich heterogene Situationen im realen Leben ergeben.
Historisch betrachtet, war sowohl die Relevanz von Architektur im Alltäglichen als auch die Relevanz des Alltäglichen in der Architektur immer wieder Thema in Denk- als auch Schaffensprozessen. Aus der Sensibilisierung für Alltägliches entstanden soziale, politische und ästhetische Fragen an Architektur- und Städtebaudiskussionen, die für Re-Evaluierungen und Kontextualisierungen im Heute eine gute Basis abgeben können. So wird sich das HDA gesellschaftspolitischen Positionen in der Architektur widmen, die sich - wie etwa das Rote Wien - dem sozialen Wohnbau und somit dem alltäglichen Leben von ArbeiterInnen verpflichtet hatten. Trotz aller berechtigten Kritik bleibt in diesem Kontext auch die Verwissenschaftlichung des häuslichen Lebens, etwa durch das Neue Bauen in Frankfurt, spannend. Abgesehen von kulturphilosophischen Perspektiven auf Alltagserfahrung, etwa bei Benjamin oder beim gelernten Architekten Kracauer, finden wir vor allem in der Soziologie den Alltag wieder: Henri Lefebvres Kritik an der Verarmung des Raums durch die Privilegierung des Bildes scheint nichts an Aktualität verloren zu haben; sein Buch "Kritik des Alltagslebens" war wichtig für den Situationismus der 60er Jahre und dessen Programm, dem Alltag nicht zu entfliehen, sondern ihn vielmehr zu revolutionieren.
Gerade vor dem Hintergrund solcher Diskurse des Einspruchs, der forcierten Beurteilung und radikalen Neubewertung geht es im Alltagsverständnis des HDA-Programms gerade nicht ums Zufrieden-Sein mit dem "sowieso Vorgefundenen", sondern um Forderungen nach Außergewöhnlichem gerade im Gewöhnlichen, also z.B. in Wohnbau und Verkehrsplanung und nicht im Bereich von Corporate-Identity-Architektur oder Spektakelbauten. Entsprechend geht es um außergewöhnliches Engagement, mithin um ambitioniertes, zumal auch ästhetisch konsequentes Planen und Bauen vor allem im Bereich von Alltagsarchitektur.
"Architektur geht uns alle an," sagt Margarethe Schütte-Lihotzky. Damit ist kollektives Engagement angesprochen und eine nahe Konfrontation mit Architektur, die im Gegenzug ein "An-Gehen", Herangehen, ans Gebaute meinen kann. Im Kapitel "Gehen in der Stadt" seiner "Kunst des Handelns" beschreibt Michel de Certeau Alltagspraktiken, alltägliche "Handlungsweisen", als Produktivkräfte. Durch die Unmittelbarkeit des Gehens ergibt sich ein immersives Verhältnis zur und ein intensiver Blick auf die Stadt, die sich deutlich vom gott-ähnlichen Blick eines Masterplaners unterscheiden. Im Blick fürs Beiläufige werden Hierarchien und Wertsetzungen im Planungsprozess hinterfragbar. Eine ähnliche Perspektivierung wird durch die einzelnen thematischen Positionen des HDA beschrieben, um die es während des Programms “position alltag" gehen wird: „wohnen“, „arbeiten“, „schützen“, „konsumieren“ und „glauben“. Mit diesen Schwerpunktbegriffen sind Handlungsfelder von Stadt- und Architektur-BenutzerInnen angesprochen, die das HDA jeweils ca. drei Monate lang thematisieren wird; zum Abschluss werden diese wieder mit dem primären Handlungsfeld von ArchitektInnen kurz geschlossen: Die letzte Position am Ende des Programms wird dem „bauen“ gewidmet sein. (Terminliste am Textende)
Die Dauer des Programms geht mit einer buchstäblichen Neupositionierung des HDA in der Stadt einher: das Haus bezieht seine "position alltag" auch im Umziehen. Anlässlich des Plans seiner Übersiedelung vom Haus in der Engelgasse ins Palais Thienfeld (im Herbst 2007) dient eine Wegstrecke durch die Dichte der Stadt - die nie nur selbstbezogen, sondern immer auch mit der Europaregion verknüpft ist - als Medium: Entlang der Abfolge von Alltagsorten vermitteln sich die einzelnen thematischen Positionen der Reihe: Wohnhaus, Bürohaus, Stadtmauer... - wohnen, arbeiten, schützen...
“position alltag" beschreibt also zwei architektonische Konditionen, die in einem produktiven Konflikt stehen: Heißt Position zum einen räumliche Lagebestimmung, zum anderen Stellungnahme und Markierung im Symbolischen, so steht dieser Ausdruck in unserem Kontext eben auch für zweierlei - sowohl für die Örtlichkeit von Architektur als auch für deren Relevanz. Positionierung in und gegenüber dem Alltag bedeutet weiters, dass etwas, das man sich üblicherweise als unbegrenzt dahinfließend vorstellt, markiert wird und durch entsprechende Stellungnahmen entsprechende Beachtung erfährt. Geht es also zum einen um die gesellschaftliche Rolle von Architektur und um die Positionen derer, die sie benutzen, so zum anderen um die Artikulation von Positionen in der Architektur selbst, seitens der ArchitektInnen als auch der EntscheidungsträgerInnen, die Architektur möglich machen.
Text: Gabu Heindl
Informationen:
position alltag
p01: wohnen / Architektur daheim. Jun - Sep 06
p02: arbeiten / Architektur zahlt sich aus. Okt - Dez 06
p03: schützen / Architektur macht dicht. Jan - Apr 06
p04: konsumieren / Architektur ist wurscht. Mai - Jun 07
p05: glauben / Architektur verleiht Flügel. Jun - Sep 07
p06: bauen / Architekten fliegen ein. Okt 07
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HDA-Vorstand 2006/2007: Markus Bogensberger, Danijela Gojic, Edgar Hammerl, Gabu Heindl und Gernot Ritter
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Programmauftakt:
Mittwoch, 15. März 2006: Architektur fertig los!
ifau & Jesko Fezer (Gewinner Wettbewerb Thienfeld) und der HDA-Vorstand eröffnen "position alltag", das Zwei-Jahresprogramm des HDA
19:00 HDA Vorstand
Programmvorstellung 06/07 "position alltag"
19:30 ifau und Jesko Fezer (Gewinner Wettbewerb Thienfeld)
Verhandlungsräume - Palais Thienfeld, Projekte, Arbeitsweisen
21:00 Uhr Disk-Jockey Drehli Robnik
Musikbestrahlung & Videotapete der schönsten Architekturmodelle aus 75 Jahren Kino